YUNGMORPHEUS & Dirty Art Club – A Spyglass To One’s Face // Zwischen Selbstreflexion und Soul-Dekonstruktion

Mit A Spyglass To One’s Face gelingt YUNGMORPHEUS und Dirty Art Club ein Statement, das weit über die Grenzen klassischen Hip-Hop-Denkens hinausgeht. Veröffentlicht über Known Agitators (mit Distribution durch Fat Beats), ist das Album mehr als nur ein weiterer Release aus dem Underground – es ist eine kunstvolle Auseinandersetzung mit Identität, Wahrnehmung und dem Zustand moderner Kultur. Schon der Titel deutet auf eine introspektive Reise hin: ein Vergrößerungsglas auf das eigene Gesicht, auf die Makel, die Narben, die Wahrheit.
Dirty Art Club liefert die perfekte Leinwand dafür. Seine Produktionen sind warm, vielschichtig und filmisch – Loops voller Soul, verschleierte Samples, fragile Drums. Über diesen Texturen entfaltet YUNGMORPHEUS sein typisches Gleichgewicht zwischen Gelassenheit und Schärfe. Er spricht über Herkunft, Stolz, Selbstbehauptung und die Mühen, als unabhängiger Künstler integer zu bleiben.
Der Sound eines psychischen Mosaiks
„Wir haben es wie ein psychisches Mosaik zusammengesetzt“, sagt Dirty Art Club über den Entstehungsprozess. Und genau so klingt A Spyglass To One’s Face: wie Gedankenfragmente, die sich langsam zu einem kohärenten Bild formen. Der Flow bleibt ruhig, fast stoisch, doch die Lyrics schneiden tief. Die Single „Way The Rose Wilt“ – begleitet von einem kunstvoll gedrehten Video von Grant Spanier (Bad Bunny, Rosalia, Troye Sivan, s.u.) – markiert dabei den emotionalen Kern des Albums.
Während viele Rapper auf Lautstärke und Geschwindigkeit setzen, vertraut YUNGMORPHEUS auf das Gegenteil. Jeder Vers sitzt, jedes Wort atmet. Das Zusammenspiel mit Dirty Art Club erinnert an die Art, wie Madlib einst mit Freddie Gibbs arbeitete – ein Gespräch auf Frequenzen, die nur Künstler mit gegenseitigem Respekt und Verständnis führen können.
YUNGMORPHEUS x A Spyglass For One’s Face – Gäste mit Tiefgang
Die Gästeliste liest sich wie ein Who’s Who des experimentellen Undergrounds: YL, Cavalier, Lukah, Zeroh und Ba Pace verleihen dem Album zusätzliche Dimensionen. Jeder bringt seine eigene Farbe, ohne den Kern zu übermalen. Besonders spannend ist, wie sich Morpheus mit diesen Stimmen verschränkt – mal reflektierend, mal konfrontativ, immer ehrlich.
Das Album bleibt dabei konsequent unaufgeregt. Keine überproduzierten Hooks, keine Streaming-kompatiblen Kompromisse. Stattdessen ein Flow, der eher an Jazz erinnert als an Chart-Rap. Und gerade dadurch entfaltet A Spyglass To One’s Face eine subtile, fast meditative Kraft.
Das Erwachsenwerden eines Underground-Pioniers
YUNGMORPHEUS (Insta) war nie laut, aber immer präsent. Mit Projekten an der Seite von Pink Siifu, Real Bad Man, Eyedress oder Fumitake Tamura hat er längst bewiesen, dass er in jeder Klangsprache zu Hause ist. Hier zeigt er nun, wie sich persönliche Geschichte und künstlerische Vision zu einem einzigen, stimmigen Werk verweben lassen.
Auf Tour begleitet er aktuell das New Yorker Trio Triathlon, mit Stationen in Montreal, Toronto, Chicago und Portland. Doch A Spyglass To One’s Face ist mehr als Musik für Bühnen – es ist Musik für Momente der Stille, für lange Nächte mit offenen Fragen.


