Aus „Der junge MC“: Vierunddreißig Mark Cashflow (Anekdote)

Während die Anderen alle Nebenjobs hatten und Zeitungen austrugen, an der lokalen Tankstelle aushalfen oder im Supermarkt zur Inventur Thunfischdosen zählten, hatte ich mit meiner damaligen C-64er Crew im Herzen unserer damaligen Hood in Kiel-Mettenhof andere Pläne: wir daddelten. Es kam 1987 gerade California Games auf den Markt, ich konnte vor Begeisterung nächtelang nicht schlafen, wie geil die das mit den animierten Wellen beim Surf-Contest gemacht hatten. Oder der Hacky-Sack, den Ball, den man hochhielt wie Sildenafil, virtuell Jahre bevor er auch physikalisch Einzug in bundesdeutsche Vorstädte hielt. Vor lauter Herumkompetieren vergaßen wir eins: die Hausaufgaben. Und dass wir schon wieder seit Wochen broke waren, Monatsmitte und nicht einer von uns hatte mehr eine Mark auf der Naht.

„Ich hab‘ Hunger!“, „Halt’s Maul und zieh das BMX-Bike über die Hügel, André.“, „Hast recht.“. So ging es tagelang, keine 35 Pfennig für ein Hanuta aber Highscore beim Frisbee. Wir magerten ab, hatten vom Joystick Links/Rechts-Herumgewuchte dennoch kräftige Unterarme und als wir für eine Spielpause auf den Parkplatz vor dem Haus flüchteten, hatte ich die Idee, unseren Cashflow zu elevaten – was auf den ersten Eindruck ziemlich gezwungen klingt, an sich aber geil ist. Ich sah den fast leeren Tieflader, mit dem Vatter Remmbeck (EG links) vom Bau für eine Mittagspause nachhause gekommen war. Und in ihm 6 leere Kisten Bier. Also, in dem Tieflader, nicht in Vatter Remmbeck (EG links), das würde ja komisch aussehen. „Jungs, ich sehe pures Gold!“, „Das ist aber kein Holsten, Lil‘ MC, das ist Oettinger. Außerdem sind die Kisten leer!“, merkte Stefan an. „Nein, Mann – ich meine das Pfandgeld! Das sind 6 Kisten à 6 Schleifen: 34 Mark! Dafür kriegt jeder von uns Malzbier und Pizza!“. Malzbier und Pizza, das war das Codewort.

Alles Jungs (inklusive mir) bekamen feuchte Augen, im Zungengrund bildeten sich kleine Binnengewässer und Holger bekam sogar eine Halberektion, wenn ich mich recht entsinne, er trug Turnhose. Malzbier und Pizza, das war damals so, als würde man heutzutage demotiviert an einem Freitag im Regen um 18h vom Job nachhause kommen und plötzlich kommt ein mattschwarzer Mercedes SLS AMG vorgefahren, aus dem ein afroasiatisches Hüfthosenmodell (1,65m, Cup C und Schuhgröße 36) mit venezuelanischer Wangenpartie aussteigt. Sie hat zwei Kisten Bier und eine Fernbedienung dabei und sagt „Ich bin großer HSV-Fan, wie wär’s, wenn wir erst ein bißchen bumsen (weiches m), dann die Sportschau gucken und zur Halbzeit verwandele ich mich in vier Kollegen? Den Wagen kannst Du behalten, ich bin eh erst 17.“, also so in etwa. Kurz: wir hatten Bock. Und Hunger ja auch.

Nun kann man es auf zwei verschiedene Arten anstellen: entweder, man teilt sich auf, einer steht Spalier, ein anderer hält die Tür zum Treppenhaus zu und die letzten 4 schnappen sich leise je eine Kiste und verschwinden dann auf Zehenspitzen Sicht-geschützt direkt hinter dem Tieflader, warten auf reine Luft wie Duftöl-Käufer und bringen die leeren Kästen erst zwei Stunden später zur Pfandannahme. Oder man rennt zu sechst wie von Hornissen gebissen auf den Wagen zu, reisst die Kisten aus der Karre und rennt mit schepperndem Geschirr direkt zum Supermarkt. Nun, Ihr kennt mich. Ich konnte nicht einmal 6×6 richtig ausrechnen, natürlich war’s Variante 2 und natürlich wurden wir noch auf der Flucht erwischt; von Muddern Remmbeck. Zwei Wochen lang durften wir alle nicht mehr gemeinsam California Games daddeln, aber egal, immerhin gewinnt der HSV gerade wieder.
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[inspired by Gesprächen am Wochenende im Rahmen des Mega-Event des Jahres – erste Bilder übrigens hier in meinem fb]

Kommentare

8 Antworten zu “Aus „Der junge MC“: Vierunddreißig Mark Cashflow (Anekdote)”

  1. Folker Mienkus sagt:

    Hahahaha – das kenne ich nur zu gut, die Daddelei. Zuerst in der Spelhalle „Decathlon“ (einer von uns hatte vom 10000m Lauf blutige Fingerkuppen) und später dann mit dem C-64 und Amiga nächtelange Arien. Vorher zur Tanke, Cola und M&Ms gebunkert und dann bis 0600 morgens gespielt, bis die Augen glühten :)

  2. Perot sagt:

    Oh Mann, da schneidest Du ein Thema an: Die alten C64-Zeiten! Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit unseres jungen Lebens wir in Fort Apocalypse, Lode Runner, Attack of the Mutant Camels (Jeff Minter ist immer noch als Spieleentwickler aktiv), Jumpman und die ganzen Epyx-Sportspiele investiert hatten – aber es war eine großartige Zeit. Das Problem ist nur, dass das mal eben bald 30 Jahre her ist.

  3. Denis sagt:

    Irgendwie bekommt man da Bock den alten C64 wieder rauszukramen, aufzubauen und den LOAD Befehl einzutippen bis der 8Bit Sound auftaucht und die Summer Games zu sehen sind …

  4. MC Winkel sagt:

    @ Frederik: „bros before hoes“ – aber auch nur bis kurz nach California Games, danach gingen wir dann lieber tanzen. :)
    @Folker Mienkus: „Decathlon“ – *lol* kenne ich (leider) auch noch! Herrlich, so lief das…
    @Perot: Ich komme mir gerade wie ein sehr alter Mann vor, der mit anderen alten Männern über den Krieg spricht! :) Hör auf mit diesem „es ist 30 Jahre her“, bitte! :)))
    @Denis: Ich hab‘ meinen damals leider entsorgt. Unglaublich dumm.

    Ich freue mich zu sehen, dass diese Anekdote vom Lil‘ MC wieder ankommt (Likes und so), wollte nur nochmal sagen, dass ich mich auch über Comments immer freue! Also… wenn Ihr was zu sagen habt – gerne! :)

  5. Frederik sagt:

    @MC Winkel
    Ist ja beides geil, wa?! Die „hoes“ waren zu meinen Zocker-Hochzeiten (also wie hoch, nicht wie Heirat) aber noch nicht so das Thema ;-)

  6. Perot sagt:

    @MC Winkel: Du hast Recht – ich wollte gar nicht so sentimental werden. Dennoch: Klasse Zeit war das!

  7. Einer von den Zwillingen sagt:

    Moin MC: Ich bekämpfe mein Nostalgie-Leiden mit einem C64-Emulator und einer CD voll von allen Games, die wir damals hatten; und freue mir immernoch einen Ast, wenn ich bei Rambo die Gefangenen befreie, das hat damals Wochen gedauert, bis ich das raushatte. Viele Gruesse von den Pyramiden!

  8. Erdge Schoss sagt:

    Mit Fahnenstangen, werter Herr Winkelsen, wäre Ihnen das nicht passiert!

    Herzlich
    Ihr Schoss

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