Über Medikamentenphobie und Kommunikationskulturverweigerung

Was ich ja auch immer wieder höre und wo ich mir vor Unverständnis meine Arme hart über dem Kopf zusammenschlage: “Also ich bin ja so’n Typ, ich nehme niemals irgendwelche Medikamente!”. Wenn Du der Meinung bist, dass das für Dich cool ist: Herzlichen Glückwunsch. Dennoch: das ist ziemlich doof, mein Sohn. Ich hatte vor ein paar Jahren mal einen kleineren Eingriff, etwas, was mit lokaler Betäubung durchaus behandelbar gewesen wäre. Dennoch bot man mir eine Vollnarkose an, mit weniger Wimpernzucken als Alopecia Universalis-Patienten. Ich willigte ein, denn a) mag ich diesen Flash und b) finde ich es eh besser, möglichst wenig von der OP mitzubekommen, ich kann je eh nicht helfen. Toll war das, der Anästhesist schenkte ein und ich sackte weg wie Urologen bei der Sterilisierung.

Als ich aufwachte hatte ich keinerlei Schmerzen, trotzdem stand der Anästhesist immer noch im Raum und erwähnte, dass wenn immer ich auch nur den Hauch eines Schmerzes empfinden würde, ich doch die Notglocke betätigen möge, damit man mir Tropf’ös nachschenken könne. Er sagte “beim heutigen Stand der Medizin gibt es keinen Grund mehr, Menschen irgendwelchen Schmerzen auszusetzen, man kann Alles regulieren!”. Diesen Satz habe ich mir gemerkt, er erleichtert mein Leben ungemein. Bin ich verkatert gibt’s zwei Paracetamol, wenn ich im Flieger nicht schlafen kann gibt es Zolpidem und bei Thinshit darf es eine Immodium sein. Gegen Kratzer gibt es Bepanthen, bei Verspannungen Tiger Balm, bei Lumbago ABC-Pflaster, außerdem täglich die Vitamin-, Magnesium-, Calcium- und Zink-Teblette, immer her damit! Mir geht es gut und das soll so bleiben, was hab’ ich davon, keine Medikamente zu nehmen, wenn irgendwas ist? Ich quäle mich durch den (dann entsprechend miesen) Tag, altere schneller, werde vermutlich aufgrund meiner zahlreichen, unbehandelten Leiden/Gebrechen grätzig zu meinen Mitmenschen; bitch please!

Noch schlimmer sind da nur die facebook- und/oder SocialMedia-Meider, ich weiß nicht mehr wie es jetzt dazu kam, aber irgendwie bin ich in der ZDF-Mediathek auf die Lanz-Runde mit Töpperwien, Olli Pocher & Co. gestoßen. Vermutlich darf man von einem Menschen, der sich versehentlich mit Strohrum beträufelt und selbst anzündet im Bereich der allgemeinen Knowledge-Kickerei nicht so viel erwarten. Aber dass Töppi sich jetzt öffentlich hinstellt und immer noch diese “wenn ich jemandem etwas zu erzählen habe, dann mache ich das persönlich”-Argumente bringt – soviel Naivität ist kaum noch auszuhalten. Ich kann das einfach nicht mehr hören, wie kann man denn immer noch nicht verstanden haben, dass eine Kommunikations-Revolution bereits stattgefunden hat?

All diese dusseligen Kulturverweigerer, die muss man doch vor sich selbst schützen. “Ich möchte doch nicht irgendeinem Popanz in Buenos Aires etwas mitteilen”, Töpperwien in Min. 6:20, “Mich würde es nicht bereichern, mich würde es immens stören (…) wenn ich etwas zu sagen habe komme ich halt in eine Talkshow.” – sehr gut, Töppi. Ich empfinde tiefe Trauer bei so viel Smartlessness, hoffentlich führt man dem gemeinen Strohrum ab 2013 nochmal ein paar mehr Einheiten Ethanol hinzu – wäre wirklich nur zum eigenen Schutz. “Wenn ich was zu erzählen habe, dann nehme ich halt den Telefonhörer in die Hand”, das ist nicht nur rückschrittlich und strotzt vor Ignoranz, das ist auch inhaltlich falsch, weil Du seit 2008 oder so doch gar kein Telefon mit Hörer mehr hast, Du FotFatzke, man nennt es Mobilteil oder Smartphone und wenn Du in fünf Jahren noch immer keinen Klout-Score hast, dann fahr’ mich halt rum. Jeez, was rege ich mich schon wieder so auf, wo ist mein Diazepam?

Kommentare

21 Antworten zu “Über Medikamentenphobie und Kommunikationskulturverweigerung”

  1. Habt Ihr die Show gesehen, mit Töpperwien?

  2. Jan Gleitsmann via Facebook sagt:

    Lieber ne Aspirin mehr als eine zu wenig, aber mit Vollnarkosen solltest Du nicht spassen.

  3. Jan Gleitsmann via Facebook sagt:

    Töppi ist eher zum Wegschalten.

  4. Ach naja. Besser als Schmerzen und super Flash! :)

  5. Irgendwie ist das Mittelmaß doch immer am besten, oder?

  6. Jan Gleitsmann via Facebook sagt:

    Super Flash jaha, aber eben auch nicht ungefährlich. Aber mein mir ists eh doof, ich bin danach sehr unleidlich.

  7. Um jetzt mal der Langweiler zu sein…

  8. Jens Stratmann via Facebook sagt:

    Töppi kann ich gar nicht ab!

  9. Jan Gleitsmann via Facebook sagt:

    Jens und ich mal einer Meinung. Wow.

  10. die Wunder der Moderne, warum sollte man sich unnötig quälen… seh ich auch so!

  11. Robert sagt:

    Thema Medikamente: Es hat schon seine Ursache, warum ein Körper reagiert, wie er reagiert. Ich verteufele keineswegs Medikamente, bin allerdings der Meinung sie mit Bedacht einzusetzen und lieber an einer gesunden Lebensführung zu arbeiten, statt die Symptome (!) einer ungesunden anschließend wegzutherapieren.

    Was SocialMedia angeht, macht wohl auch dort die Dosis das Gift. Und nichts geht über persönlichen Kontakt. Sicherlich kann das ganze Internet-Shizznit als Ergänzung taugen, aber Vertrauen entsteht größtenteils immer noch über physische Nähe. Von demher reduziere ich mittlerweile zunehmend digitale Medien. Liegt möglicherweise aber auch daran, dass ich ebenjene nicht als (meine) Einnahmequelle nutze/sehe.

  12. Sonja sagt:

    Mensch, Herr Winkelsen, wir sind so oft einer Meinung, dass ich schon Angst bekomm` ;)

  13. keen sagt:

    Du scheinst mir im Bezug auf Medikamente etwas naiv zu sein. Wenn ich zum Arzt muss und ihn nach seiner Meinung zu Alternativen zu Pharmazeutikas frage, welche 1. natürlich sind und 2. nicht nur die Symptome bekämpfen, kriege ich nur die Antwort, dass er keinen Grund sehe warum ich veraltete Methoden anwenden soll es gäbe ja Pillen. Gut für ihn, denn von alternativen Methoden verdient er nichts.

  14. kielberlin sagt:

    —> ganz meine Meinung Herr Winkelsen!
    Ich bin Pro Chemie…Als ob alles Menschengemachte schlecht wäre.

    Die Lanzsendung schau ich mir die Tage mal an

  15. Folker Mienkus sagt:

    Sehr richitg, Emsr ! Volle Zustimmung von meinereiner !

  16. lifestyle030 sagt:

    Grandioser Artikel! Da rückt mir mein Medizinschränkchen ein kleines Stück näher.

  17. Perot sagt:

    Stimmt genau – obgleich ein paar Sachen angeblich Placebos sind, die Du aufzählst. Ist aber vollkommen okay, denn auch Placebos helfen – das ist es, was zählt.

    Ui, der Like-Button funktioniert heute mal bei mir. Somit: Keine KKV. ;-)

  18. Dennis sagt:

    Hey, wunderbar, deine Aussagen strotzen ja nur vor Toleranz! Weil jemand keinen Bock auf Facebook hat ist er gleich ein Fatzke? Dass Töpperwien aus einer ganz anderen Generation stammt und somit einen anderen Umgang mit neuen Medien gewöhnt ist als du, ist dir nicht in den Sinn gekommen?
    Medikamente: Auch klasse. Irgendwer muss die Pharmaindustrie ja am Laufen halten. Mach du es doch, ich komme ohne Medikamente aus. Bisschen Sport, ausgewogenene Ernährung, schon fluppt das. Und überhaupt gilt wie immer: Die Dosis macht das Gift. Mit deinen ganzen Mittelchen, seien es selbst Vitamine, kannst du dir in falscher Dosierung auch schaden. Nicht kurz-, dafür aber langfristig.
    Mein Fazit zum Artikel: Intolerant und naiv.

  19. Toni sagt:

    Ich finde bei größeren Eingriffen macht es deutlich Sinn sich mit Medikamenten voll pumpen zu lassen, aber bei einer kleinen Wunden Bepanthen und bei den ersten Anzeichen von Kopfschmerzen gleich Aspirin? Ich weiß ja nicht. Ein bisschen leiden kann man glaube ich schon einmal, dass man sich auch mal erinnert wo die Kopfschmerzen denn herkommen. Vielleicht vom Alkohol letzte Nacht? .-) Aber bei Operationen danke ich auf jeden Fall der fortschrittlichen Medizin und nehme dankend an.

  20. toellby sagt:

    Ein Leben ohne Chemie ist möglich.
    Aber sinnlos.

    :D

    …thinshit…*rofl*

  21. Ganz nach dem Motto “viel nützt viel”? Dennoch: Ein klein wenig Pharmakokinetik-Nachhilfe würde dir bestimmt nicht schaden. Gibt’s sicher irgendwo online zu finden.

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