Jugendrituale 1
Gedanken über einige Ereignisse aus der Vergangenheit lösen retrospektiv einen bösen Seelenschmerz in mir aus. Mich überkommt ein Schamgefühl schlimmer als bei meiner Beschneidung. Also, versteht mich nicht falsch: ich schämte mich bei der Beschneidung nicht des Rituales wegen, sondern weil der Urologe einem dubiosen Herrn ‚Knie‘ direkt nach der Abtrennung meine Vorhaut als Zirkuszelt feilbot. Aus dem Rest soll man wohl 60 12-Mann-Raftingboote für den Einsatz im Wildwasser produziert haben und womit Christo im Juni 1995 den Reichstag einhüllte, ist ja hinlänglich bekannt. Worauf ich aber hinaus will: es tut mir einfach gut, mir vermeintlich Negatives, Prekäres oder Infantiles von der Seele zu schreiben, um endlich damit abzuschließen und nach vorne blicken zu können. Also zurück zu meiner Beschneidung.
Habt Ihr gedacht, hm?! Nix da, darüber wurde nun schon genug gesprochen. Ich erzähle Euch heute lieber von ein paar anderen Ritualen aus der Jugendzeit, mit welchen man sich seine Zeit vertrieb, weil Spielkonsolen, Mobilfunkgeräte und all der Humbug drumherum ja noch nicht so populär waren. Da gab es zum Beispiel
1. Den Indianer
Das „Indianer“-Ritual kam irgendwann Anfang der Neunziger in mein Leben. Mit unserer Popperclique trafen wir uns jeden Donnerstag auf einem großen Platz im Herzen Kiels. Hier kamen nicht nur die Popper der Stadt angerückt; sämtliche der zur damaligen Zeit vorherrschenden Subkulturen fanden hier Zusammenkunft. Was wir alle gemein hatten: Bierdurst. Und Lautstärke. Und Pimmelprotzereien – mit oder ohne Vorhaut. Trotzdem wollten die Rocker die härtesten am Platz sein. Der am beunruhigendsten aussehende Kuttenträger kam regelmäßig in unsere Ecke und verpasste einem nach dem anderen den Indianer; und das ging so: Er nahm die Faust des zu indianernden in seine rechte Hand und fing an, den untersten Gelenkknochen des Daumens so lange zu reiben, bis sich die oberste Hautschicht löste. Der Schmerz war zunächst passabel und auch erst später, als Henne der bedrohlich aussehende aber herzensgute Rocker schon längst wieder zurück im Kreise seiner Freunde ein Folgebier aus der Edeka-Plastiktüte griff, fing es zu bluten an. Das dafür dann aber umso mehr. Als mir mein Indianer verpasst wurde, wurde ich schlagartig blasser als Robert Smith nach Hungerkur im Land der ewigen Finsternis (Niedersachsen). Ich konnte 4 Monate nicht mehr zum Blutplasmaspenden und weil sich an dieser stark gelenkorientierten Stelle die Kruste immer wieder ablöste, versaute ich mir in den Folgewochen mehr Jeanshosen als Blitzmenstruationen dies im gesamten Staate Louisiana im Zeitraum 1955 bis heute taten. Naja, Mardi Gras war daran wohl auch nicht ganz unschuldig.
2. Der Aschclub
In den Aschclub kamen nur die Cliquenmitglieder, die die unglaubliche Courage besaßen, Aschebier zu trinken. Sinnloser als die Vanity Fair, zugleich aber auch begehrter als xing-Kontakte bei Posern war eine Mitgliedschaft. Auch wenn diese eine ekelhaftere Bewährungsprobe mit sich brachte als ein Meet&Greet mit Paris Hilton: die elitären Bestandsmitglieder knipsten die Aschen von mindestens 5 Zigaretten in eine halbvolle Bierdose. Der Anwärter musste diese dann augenblicklich austrinken und verpflichtete sich überdies, ab sofort und jederzeit sein aktuelles Bier als Aschenbecher zu benutzen; egal, was für eine Füllmenge dieses gerade auswies. Ich muss Euch heute leider mitteilen, auch für mindestens 2 Wochen Mitglied im Aschclub gewesen zu sein. Unfassbar, wie maximalentspannt man sich vorkam, wenn man im Gespräch mit den Mädchen in seine Bierflasche aschte und trotzdem weiter aus dieser trank. Unfassbar, wie über alle Grenzen dämlich das wirklich ausgesehen haben muss. Nun denn; ich trat aus als ich plötzlich am hellichten Tag Phoenix ausatmete. Außerdem war ich es leid, jeden Mittwoch nach Kareval aus Bürgerreinigungsgründen vom Kölner Dom zu husten.
Lesen Sie in ‚Jugendrituale 2‘:
3. Der Feuerpony
4. Roundwalking
In Kürze.
Fehlt nur noch das KIELholen…
Oh mann, der Ascheclub ist ja echt nur was für harte Popper gewesen, oder… verstehste? Harte Popper!!! Ungefähr vergleichbar mit fidelen Grufties!
ey winkelsen- was solln das mit niedersachsen?!
Ich weiß nicht, ob ich die Hände vor den Mund schlagen oder lachen soll…?? Es ist ja gut, dass außergewöhnliche Leute eine durchs Bloggen an ihrem Leben teilhaben lassen, doch das… SICK! (ahaha. Der Aschclub. pffthihihi. :)
Ich kenn auch einen, ich kenn auch einen – also:
„Geht ein Blogger in sein Blog und schreibt die Wahrheit.“
Jesus. Wie hast du bis heute überlebt? Wer hat dir dabei geholfen?
oh neeee. aber ich überlege gerade von meinen 10 fahrrädern zu schreiben ;)
Ascheclub. Ja, das ist gut.
Aber ich kann auch so Dunstwolken ausatmen, dass stehenden Fußes Smog-Alarm gegeben wird. Ohne ein verseuchtes Bier zu trinken…
Trotzdem: Danke für diesen Morgen, der mit einem Lachen beginnt.
der moderne mc-münchhausen!
@ Andre: PFUI!
@ SirParker: Also da wo ich herkommen, da gab’s tatsächlich auch harte Popper. Wobei die Grenzen zwischen den Subkulturen auch eher… fließend waren.
@ graipfruit: Genauer: Niedersachsen.
@ ahh: Tschjanu. Wie ich schrieb: Ich muss diese last loswerden!
@ Wahnsinn: Natürlich bediene ich mich der Überhöhung als literaisches Stilmittel; aber das Wesen stimmt. Also: Indianer & Aschclub – leider tatsächlich wahr. Beschneidung auch. Zirkuszelt nicht vielleicht.
@ Dave-Kay: Die Psychologie-Abteilung von Amnesty Intl.!
@ Silka: Mach mal!!!
@ Zmivv: Dann sollten Sie mal zum Zahnarzt, lieber Zmivv! :)
@ bsc: Münchwhat? :) Siehe „@Wahnsinn“ – das Wesentliche war… so.
Sach ma Kollege, machte man das nur in Kiel oder war das auch sonstwo in der Republik verbreitet? Nicht, dass wir nicht auch Scheiß gemacht hätten (mit 12 kamen wir uns so cool vor, wenn wir Hölzchen rauchten…), aber das grenzt ja schon fast an komplette Selbstverstümmelung. :)
Geschlagen wird das nur noch durch das: einer meiner damaligen Freunde hatte sich mal zum Ziel gesetzt, unermesslichen Reichtum zu erwerben. First step: eine volle Flasche JHP Rödler Öl für 5 Mark (wir waren jung…) auszutrinken. Das erste und einzige mal in meinem Leben bisher, dass ich einen Menschen mit (eigentlich) sehr, sehr dunkler Hautfarbe gesehen habe, dessen Gesicht sehr, sehr rot war. Feuerrot :)
Bin gespannt auf die neuen Stories… ;-)
„Aschclub“… Ich habe zuerst Arschclub gelesen… Dachte es kommt eine Story über ne Herrensauna oder übers Ströh…
GIZZLE
Lieber MC,
das hat nichts mit eventuell bestialischem fetor ex ore zu tun, sondern vielmehr damit, dass meine Lunge trotz geringstem Zigarettenkonsum ein starker Rauchakzeptor ist. Und der muss ja auch irgendwann mal wieder raus.
Aber danke für den Tipp.
Das wollte ich nur noch mal sagen.
So.
Hab mir jetzt grad einen „Indianer“ gemacht. Hehehe, hat gar nicht weh getan. Easy….ah doch… jetzt fängt es ein wenig an zu bluten…
*lol*
Deshalb whudat.de!
Warum tu ich das, warum gebe ich als Kommentar dieses
Geheimnis preis? Wahrscheinlich, weil ich Ashclub -Mitglieder
für Weicheier halte:
Sockenclub war bei uns angesagt. Sockenclub kittet zusammen.
16 Mann, 16 Hefeweizen.
Jeder zieht eine 12 Stunden-Socke aus und drückt sie langsam
sich vollsaugen lassend auf den Boden des Glases.
Dann : EX.
Die Socken natürlich hernach trocken zuzzeln, der gesunden
Hefe wegen.
So, nu is raus. Und ich war mal wieder aktiv hier.
Shit, ich habe vergessen zu erwähnen, daß die besockten Gläser
langsam im Uhrzeigersinn weiter geschoben werden. Wichtig!
@Oldman:
Weitergeben wahrscheinlich nach dem Exen und vor dem Zuzzeln.
Du bist echt Geddo, Alda.
:D Sehr gut. Mich juckts in den Fingern auch das wieder zu zeichnen. Ich seh das immer alles bildlich vor mir wenn ich das lese.
In unserem Teil des Landes der ewigen Finsternis trank man als Aufnahmeritual in den Club der Bescheuerten und Bekloppten Bier mit Tzatziki. Okay, nur ein kleine Gruppe machte das (durch).
Munner Bleiben!
Popper? Popper? Popper sind allerfrüheste 80er. Wie kann man in den 90ern noch ein Popper gewesen sein?
Andererseits – Kiel ist wohl ’n büschen weiter draußen… ;-)
@ Falco: … JHP Rödler hatten wir auch mal. Wir haben es allerdings als 2cl-Glas Sambuca getarnt. Der arme wusste also nichts davon… böse Sache!
@ Giza: Der Arschclub war in Mettenhof weniger populär! :)
@ Zmivv: Aber bitte doch!
@ Muräne: Hehe… und, verheilt, ja?! DENKEN SIE! Das platzt gleich wieder auf! Selbst schuld!
@ Jonas: Danke!
@ Oldman: SOCKENCLUB! Pfuisen – 12STUNDEN-SOCKENCLUB!! Das ist ja das Widerlichste, was ich seit langem gehört habe! Gratuliere – das soll erstmal einer beim alten MC schaffen! Das schreit nach einer Jungendsünden-Competition bei Dir drüben!! :) Mal sehen, was die anderen Blogger noch für Jugendleichen im Keller haben…
@ Raducanu: AUFHÖREN! :)
@ Butze: AUFISCHNAUSE?
@ Schnitzel: Aber sie malen immer so große Köpfe! :)
@ cfk: Werde mich bemühen!
@ Kiki: GAR NICH‘ WAHR! Die letzte Generation Popper waren die mit den NKOTB-Scheiteln und den bunten Diesel-Saddle-Jeanshosen (bundesweit Anfang der 90er!); und da gehörte ich noch zu!
Die Köpfe haben eine ganz normale Größe. Es ist der fehlende Torso und die sehr rudimentär gezeichneten Extremitäten die den Kopf als herausragendes Merkmal betonen, oder anders gesagt: Da ham sie wohl recht. ;)
@MC,
kann ich bei mir leider nicht bringen, so was .
Da lesen zu viele Nachbarskinder mit.
Das ist auch einer der Nachteile vom :
„Opa Jo für Alle“ sein.
[…] Es ist ja nicht so, dass wir alle eine langweilige Jugend gehabt hätten. Aber wenn ich bei MC Winkel über “Jugendrituale” wie den Indianer und den Ascheclub lese, kommen bei mir doch sentimentale Momente auf. Denn so etwas habe ich nicht zu berichten. Oder habe ich es einfach vergessen? Ich muss nachdenken, nachdenken darüber, was mich wohl in Eigenfremdscham versinken lassen würde und was meine kranke Seele deswegen längst verdrängt hat. Doch, es gab sie, unsere Jugendrituale. Doch ganz so cool wie MC Winkel oder die kekswichsenden Kids aus der Crazy-Clique waren wir dann doch nicht. Baumhaus-Club Weniger ein Jugendritual als vielmehr ein letztes Aufkeimen kindlicher Naivität, gekoppelt mit pubertärer Profilneurose war der Versuch, ein Baumhaus zu errichten. Nicht, dass wir das nicht auch als Kinder getan hätten. Aber mit 14 entdeckten wir die Freude am Tarzan-Dasein wieder und schleppten im herbstlichen Regen und Nebel tonnenweise Baubretter über die Pferdewiese zu einem Dreieck aus drei eng beisammenstehenden Bäumen. […]
[…] ist ja nicht so, dass wir alle eine langweilige Jugend gehabt hätten. Aber wenn ich bei MC Winkel über tolle “Jugendrituale” wie den Indianer und den Ascheclub lese, kommen bei mir […]