Eskalation in Osteuropa: Warum Ungarn seine Nachbarn provoziert
Ungarn gilt innerhalb der EU nicht nur als politischer Querschläger – auch die Spannungen mit seinen Nachbarländern nehmen spürbar zu. Landkarten in Schulbüchern zeigen Gebiete außerhalb der heutigen Grenzen als Teil Ungarns. Premier Viktor Orban inszeniert sich mit Symbolen des ehemaligen Großungarn. Doch hinter der nostalgischen Fassade steckt mehr als nur nationale Romantik: eine geopolitisch brandgefährliche Agenda. Eskalation in Osteuropa: Warum Ungarn seine Nachbarn provoziert.
Das Trianon-Trauma als historischer Ausgangspunkt
Der Hintergrund dieser Entwicklung liegt über 100 Jahre zurück. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn im Vertrag von Trianon (1920) zwei Drittel seines Staatsgebiets. Millionen ethnischer Ungarn lebten plötzlich in Rumänien, der Tschechoslowakei oder Jugoslawien. Diese historische Demütigung wurde zum nationalen Trauma, das bis heute politische Wirkung entfaltet. Ganze Generationen wuchsen mit der Vorstellung auf, um ihr rechtmäßiges Erbe betrogen worden zu sein.
Ungarn Eskalation – Großungarn als politische Vision
Viktor Orban greift dieses Trauma gezielt auf. Seit 2010 baut er den Nationalismus systematisch zum Fundament seiner Politik aus. Karten des historischen Großungarn tauchen nicht nur in Lehrmaterialien auf – auch auf Schals, Tassen oder Wahlkampfplakaten. In regierungsnahen Medien wird die Wiederherstellung der alten Grenzen als „historische Gerechtigkeit“ diskutiert. Besonders brisant: Viele dieser „verlorenen“ Gebiete liegen in Staaten, in denen heute noch große ungarische Minderheiten leben – etwa in Rumänien, der Slowakei und der Ukraine.
Ungarn mischt sich aktiv in Nachbarstaaten ein
Orban begnügt sich nicht mit Symbolpolitik. Seit 2011 vergibt Budapest ungarische Pässe an ethnische Ungarn im Ausland – über eine Million Menschen haben das Angebot angenommen. Das bringt Orban nicht nur treue Wählerstimmen, sondern de facto einen politischen Einflussbereich jenseits der Landesgrenzen. In Regionen wie Siebenbürgen (Rumänien), der Südslowakei oder Transkarpatien (Ukraine) investiert Ungarn massiv in Schulen, Medien und Kulturzentren. Das sorgt in den betroffenen Ländern für Unruhe. Bukarest und Bratislava sehen darin eine schleichende Einflussnahme, ja sogar eine stille Gebietsbeanspruchung.
Gezielte Provokationen mit System
Die Passvergabe sorgt besonders in der Slowakei für Zündstoff. Als Reaktion verabschiedete das Land ein Gesetz gegen doppelte Staatsbürgerschaft. Doch Orban lässt sich nicht beirren – und ungarische Medien zeigen regelmäßig Karten, auf denen der Süden der Slowakei als Teil Ungarns erscheint. In Rumänien war ein Auftritt Orbans 2022 besonders umstritten: Seine Rede über „gemischtrassige Völker“ wurde international als rassistisch kritisiert – und zugleich als unterschwelliger Aufruf an ungarische Minderheiten, sich vom rumänischen Staat zu distanzieren.
Transkarpatien: Geopolitik auf Putins Spuren
Am deutlichsten zeigt sich Orbans Agenda in Transkarpatien, einer Region im Westen der Ukraine mit über 150.000 ethnischen Ungarn. Dort verteilt Budapest nicht nur großzügig Pässe und Fördergelder – es blockiert im Gegenzug regelmäßig EU- und NATO-Initiativen zur Unterstützung der Ukraine. Orban fordert offen mehr Rechte für „seine Landsleute“ – und ließ durchblicken, dass eine Rückgabe des Gebiets denkbar sei. Zuletzt wurde sogar ein ungarisches Spionagenetzwerk in der Region enttarnt.
Innenpolitischer Umbau im russischen Stil
Orban orientiert sich nicht nur außenpolitisch an Russland. Auch innenpolitisch wird das System Ungarn immer autoritärer. Medien werden gleichgeschaltet, die Justiz politisiert, unabhängige Institutionen entmachtet. Aktuell plant das Parlament ein Gesetz gegen angebliche „ausländische Einflussnahme“, das regierungskritische NGOs massiv unter Druck setzen soll. Kritiker sehen darin eine Kopie des russischen Agentengesetzes, das Putin zur Ausschaltung seiner Opposition diente.
Ein geopolitisches Pulverfass
Ungarns Politik ist kein regionales Randphänomen, sondern eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität Europas. Während die EU mit der Ukraine, Russland und den USA beschäftigt ist, verfolgt Orban unbeirrt seine nationalistische Agenda. Der Traum von Großungarn ist längst keine harmlose Nostalgie mehr – sondern ein konkretes geopolitisches Projekt. Die Nachbarländer reagieren zunehmend nervös. Und Europa muss sich fragen, wie lange es dieser gefährlichen Entwicklung noch tatenlos zuschaut.
Eskalation in Osteuropa: Warum Ungarn seine Nachbarn provoziert
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[via Clever Camel]
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