Der Freitag, an dem ich alles vergaß.

Wobei vergessen in diesem Zusammenhang vermutlich das falsche Verb ist. Denn wie Ihr wisst, muss es manchmal einfach sein. Es gibt so Tage, bevorzugt Wochenenden, da sollte man sich einfach a) ein Bier in die Hand nehmen und b) treiben lassen. Warum ich mir irgendwann den Freitag als bevorzugten Weggeh-Tag abgewöhnt habe, erfahrt Ihr heute.

Es war ein Freitag nach einer anstrengenden Woche in meinem Ausbildungsbetrieb. Obwohl ich Großhandelskaufmann werden wsollte, steckte man uns Auszubildende für mindestens 1 1/2 Jahre – die Vorwitzigen sogar für 2 Jahre – ins Lager. Und Lager gab es viele dort: das Veraufslager, das Warenannahmelager, das Lager für Türelemente&Shizznit, ein Zelt für Baustellenbedarf jeglicher Art und ein offenes Lager für Gerüstteile sowie Schalungszubehör. Der clevere Leser kann sich vorstellen, dass die beiden letztgenannten, teilweise offenen Depots im Winter etwas kühler wurden. Und dann gab es da diesen einen Auszubildenden, der in seiner zweijährigen Lager-Verweildauer skurrilerweise immer zum Jahrenwechsel dort platziert wurde: mich. Aber wenigstens lagen die Haare.

Natürlich war der schönste Moment im Rahmen dieser Wochen der Freitag, wenn um 15.30h der Gabelstapler ausgeschaltet wurde und man den Blaumann in der Umkleide gegen die Diesel-Saddle tauschte, um auf dem Nachhauseweg direkt Paderborner Export einkaufen zu gehen. Dieser eine, besondere Freitag des Vergessens zeichnete sich dadurch aus, dass ich bereits morgens meinen Haustürschlüssel liegenliess. Und weil sonst keiner zuhause war, fand ich mich ausnahmsweise schon um 16.00h bei Hansen auf der Couch wieder. “Jetzt schon ansetzen?”. “Was denn sonst?”. “Gut, Prost.”. Auf VIVA kündigte Nilz Bokelberg gerade Mark’Ohs Debüt-Video an. “Der kleine Pisser hat doch noch nicht einmal Haare am Saque!”, echauffierte sich Hansen. “Also ich glaub’, der ist schon über Zwanzig.”, sagte ich und bezeigefingerte die gewölbte Front Hansens Grundig’schen Farbfernsehers. “Der Andere!”, rief Hansen. Stille. “DJ Bobo?”. Hansen schlug mir in den Nacken, was okay war. Hauptsache nicht die Haare.

Sechs Studen später vergaß ich die Nummer der lokalen Taxistation, was eigentlich ein eindeutiges Zeichen für ein selbstauferlegtes Ausgehverbot sein sollte. Später vergaß ich, wo ich meinen Garderobencoupon zwischengelagert hatte (was mir übrigens immer noch passiert) und noch später vergaß ich, M. anzurufen, mit welcher die Übernachtungssituation eigentlich bereits seit Mittwoch geklärt war. Ich fuhr dann nachhause und kam sogar ohne Schlüssel in die Wohnung. (pull)Fragt nicht, ich hab’s vergessen(/pull). Was ich aber mit letzter Kraft noch schaffte und was mich auch heute noch staunen lässt wie den Bayern-Fanclub beim Blick auf die aktuelle Rückrundenstatistik: ich rief in meiner Ausbildungsstätte an, um mir für den Folgetag frei zu nehmen. Es war inzwischen doch schon etwas später und naja; die Haare.

Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, wie blamabel das öffentliche Vorspielen meiner Abwesenheits-Verlautbarung auf dem Firmen-Anrufbeantworter verlief. Der Chef selbst liess es sich dann natürlich auch nicht nehmen daran zu erinnern, dass hier zuletzt in den Fünfzigern an einem Sonnabend gearbeitet wurde.
Aber das hatte ich wohl vergessen.

Kommentare

24 Antworten zu “Der Freitag, an dem ich alles vergaß.”

  1. Jens sagt:

    Den AB Spruch von dir würde ich heute gerne noch einmal hören. Dafür würde ich sogar Geld zahlen :D

  2. Aquii sagt:

    Groß- und Außenhandelskaufleute wurde ja allgemein auch als Legervieze bezeichnet und galten als die Kaufleute, mit den schmutzigsten Fingern ;)

  3. Scholli sagt:

    Herr Winkel, hatten Sie denn auch einen Staplerfahrer Klaus am Lager? Sie wissen ja: Safety First!

  4. Herrlich.
    Solche Xtreme Days kamen ( und kommen vielleicht ) immer mal vor.
    Und aus dir ist trotzdem was geworden.

  5. Jörn sagt:

    Auch bekannt unter der Bezeichnung “Flüssig-Reset”.

  6. Thomas sagt:

    Sechs Studen später vergaß ich die Nummer der lokalen Taxistation…

    Wenn es “Stunden” heißen soll, dann ergibt der Satz für mich keinen Sinn…
    also gehe ich mal von “sechs Stuten später” aus

  7. Sebastian sagt:

    Welcher Abteilung wurden Sie denn nach dieser erstklassigen Ausbildung zugeteilt Herr Winkelsen??

  8. Acki sagt:

    Respekt! Total pflichtbewusst dieser Winkelsen! ;-)

  9. Erdge Schoss sagt:

    Wenn nicht einmal Ihr bester Kamerad/Homie Ihnen an die Haare durfte,
    werter Herr Winkelsen,

    wer durfte es denn (außer Ihrer bezaubernden Frau Mutter natürlich)?

    Herzlich
    Ihr Erdge Schoss

  10. erinnert mich schwwwwweeerrr an den spruch unsererer chefs:

    wer saufen kann, kann am nächsten tag auch arbeiten! ;-)

    gilt aber nicht immer *zweifingerüberkreuz* :-)

  11. danimateur sagt:

    wollte gerade was schreiben, aufgrund des vorangegangenen wochenends hab ich es aber jetzt leider vergessen. egal. hauptsache gesund.

    herzlich, Danimateur

  12. Die DiVa sagt:

    Das mit den Haaren werter Herr Winkel, wie machen Sie das nur? Ich hörte letztlich etwas von Bauschaum, hatten Sie den an Lager.

    Herzlichst und wo war ich…Vergessen

    Ihre DiVa

  13. Kaal sagt:

    Tipp aus Erfahrung: Der Gaderobencoupon steckte hinten in der weggeworfenen, weil auf einmal doch schon leeren Zigarettenschachtel.

  14. MC Winkel sagt:

    @Jens: Rufen Sie doch mal dort an; schöne Grüße an den Juniorchef!
    @Aquii: Ist das so?
    @Scholli: Nene, dort hatten noch nicht einmal die Festangestellten einen gültigen Staplerschein. Da gab es – das muss man sich mal vorstellen – noch nicht einmal Arbeitsverträge. Wurde noch alles per Handschlag abgemacht. Kein Scheiß!
    @Jerry B. Anderson: Ja. Nur: was? :)
    @Jörn: Oder das “Sambuca-Clearing”. :)
    @Thomas: Sie haben natürlich recht.
    @Sebastian: Erst Industrie&Umwelttechnik, dann Container. Zuletzt EDV. Sie kennen den Bums?
    @Acki: Kammamasehn, nä!
    @Erdge Schoss: Seinerzeit nur Albert, der stadtbekannte Kantenfriseur!
    @little-wombat: Das ging noch nie. Völliger Blödsinn, dieser Spruch. Zum Glück aber auch inflationär.
    @danimateur: Gute Besserung.
    @Die DiVa: Die sind aus Kryptonit, Frau DiVa!

  15. MC Winkel sagt:

    @Kaal: :) meistens im Kleingeldfach des Portemonnaies, welches ab 1.00h so gut wie nicht mehr existent ist.

  16. Sehnse, wenn die Haare liegen ist doch alles in Butter. Meine liegen heute übrigens gar nicht. Macht nix. Ist eh ein Scheißtag. Montag halt.

  17. Scholli sagt:

    Das sind nicht die schlechtesten Verträge, glauben Sie mal. Nix schriftlich=Gesetzliche Regelung. Man meint immer, das wär so schlimm, aber was ich im Laufe meines Studiums an Arbeitsverträgen habe unterschreiben müssen, lässt das in einem warmen Glanze von Ansprüchen und Rechten in einem erträglichen Verhältnis zu den Pflichten erscheinen.

  18. der.grob sagt:

    ich kenne nur diverse straflager. da ist es im winter auch recht kühl.

  19. KleinesF sagt:

    Mein Eindruck ist, wenn man Freitags weggeht, ist das Wochenende länger.

  20. danimateur sagt:

    geil ist ja, das nächsten freitag schon wieder wochenende ist. mann mann, die zeit rennt aber.

  21. Das mit dem Garderobenzettel ist mir vor 3 Wochen erst wieder passiert… Ist aber auch wirklich schwer den bei sich zu behalten, dass da nicht langsam mal was einfacheres erfunden wird… ts ts ts

  22. Johanna sagt:

    Bin so fertig vom Tach, lieber Mr. Winkel, dass ich nach jedem Absatz einfach vergessen habe, was ich grade gelesen habe. Ich hoffe Sie verzeihen mir.

  23. Thomas sagt:

    zu den Garderobenzettel… Ich habe mir überlegt, ich packe einfach einen Zettel mit einer kompliziert erscheinenden Nummer in meine Jackentasche, die ich im Falle eines Verlustes des Garderobenzettels mal eben “The Mentalist mäßig” aufsage. Muss ja dann meine Jacke sein. Applaus gibt es auch noch! Die Angeberversion wäre es, eine Freundin zu bitten etwas laszives auf den Zettel zu schreiben unter einer fiktiven Nummer!

  24. kleiner.mops sagt:

    Uh, Gabelstapler fahren! Das macht fast so viel Spaß wie auf der Abraumhalde Bagger fahren. Aber das tut hier nichts zur Sache.

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