Russlands letzter Freund kippt – Ungarn distanziert sich von Putin und Moskau
Ungarn galt lange als Russlands wichtigster Partner in der EU. Während Berlin Sanktionen forderte und Warschau Waffen schickte, schüttelte Viktor Orbán in Moskau Putins Hand. Er wetterte in Brüssel gegen Brüsseler Bürokratie und sicherte sich im Gegenzug billiges Öl und Gas. Diese Doppelstrategie funktionierte erstaunlich lange – bis sie ihm auf die Füße fiel. Russlands letzter Freund scheint zu kippen, Ungarn distanziert sich von Putin und Moskau.
Denn mittlerweile bröckelt das alte Machtgefüge. Orbán steht unter Druck von drei Seiten: Washington, Brüssel und der eigenen Bevölkerung. Seine jahrelange Taktik, Ost und West gegeneinander auszuspielen, hat sich erschöpft. Energieabhängigkeit wird zur Falle, Vetopolitik zur Last, und seine demonstrative Nähe zu Putin gefährdet das, was ihm am wichtigsten ist – seine Macht.
Ein Freiheitskämpfer verliert seine Richtung
Kaum zu glauben, aber Orbáns Karriere begann einst als antirussischer Aufstand. 1989 forderte der junge Student auf dem Budapester Heldenplatz den Abzug sowjetischer Truppen. Damals war er das Gesicht des ungarischen Freiheitskampfs, Symbol der Hoffnung auf ein westlich orientiertes, demokratisches Ungarn. Doch die globale Finanzkrise 2008 veränderte alles.
Als Orbán 2010 erneut an die Macht kam, suchte er Stabilität – und fand sie ausgerechnet in Moskau. 2014 unterzeichnete er einen 10-Milliarden-Dollar-Deal mit Russland über den Ausbau des Atomkraftwerks Paks. Kurz darauf folgte ein Gasvertrag mit Gazprom. Orbán pries die „strategische Partnerschaft“ und begann, Ungarn nach dem Modell „illiberaler Demokratie“ umzubauen – Kontrolle statt Vielfalt, Nationalismus statt Liberalismus.
Der Ukrainekrieg als Wendepunkt
Als russische Panzer 2022 in die Ukraine rollten, wurde Orbáns Balanceakt unmöglich. Fast alle EU-Staaten sprachen von einem Angriffskrieg. Doch Budapest blieb auf Tauchstation. Orbán erklärte Ungarn für „neutral“, blockierte EU-Sanktionen und verweigerte Waffenlieferungen an Kiew. Seine Begründung: Ungarn müsse sich aus fremden Konflikten heraushalten.
In Wahrheit war das pure Selbstschutz. Über 80 Prozent des ungarischen Gasverbrauchs stammten aus Russland, ebenso ein Großteil des Öls. Jede Sanktion gegen den Kreml hätte direkt die ungarische Wirtschaft getroffen. Orbán argumentierte, Sanktionen schadeten Europa mehr als Russland – ein Narrativ, das Moskau jubeln ließ und Brüssel entsetzte.
Doch die geopolitische Lage änderte sich rasant. Die USA erhöhten den Druck. Selbst Trump, einst Orbáns ideologischer Verbündeter, soll ihn in einem Telefonat aufgefordert haben, russische Ölimporte zu stoppen. Gleichzeitig kürzte Brüssel milliardenschwere EU-Gelder und drohte, Vetorechte zu beschneiden. Orbáns Vetopolitik, jahrelang Machtinstrument, wird plötzlich zur Schwäche.
Ungarn distanziert sich von Putin – Der Druck wächst von innen
Noch gefährlicher als Brüssel oder Washington ist der Stimmungswandel im eigenen Land. Die ungarische Wirtschaft steckt in der Rezession, die Inflation ist eine der höchsten Europas. Viele Familien kämpfen mit steigenden Preisen, während Orbán weiterhin Putin hofiert.
Laut aktuellen Umfragen lehnen inzwischen über 60 Prozent der Ungarn Putins Politik ab. Nur zwei Prozent sehen Russland noch als Verbündeten. Selbst in Orbáns Partei Fidesz wünschen sich 54 Prozent eine engere Partnerschaft mit Deutschland statt Moskau.
Diese Veränderung hat einen Namen: Péter Magyar. Der ehemalige Fidesz-Funktionär führt eine neue konservative Bewegung an – national, aber proeuropäisch. Magyar attackiert Orbán frontal, wirft ihm Korruption, Vetternwirtschaft und eine gefährliche Abhängigkeit von Russland vor. Seine Partei Tisza liegt laut aktuellen Umfragen Kopf an Kopf mit Fidesz. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren wackelt Orbáns Machtbasis.
Der 180°-Schwenk beginnt
Im September unterzeichnete Orbán überraschend den größten westlichen Energievertrag in der ungarischen Geschichte – mit Shell. Das Abkommen soll die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas schrittweise verringern. Parallel dazu wurden seine Töne gegenüber Brüssel versöhnlicher. Statt Attacken gibt es plötzlich diplomatische Floskeln.
Doch Orbáns Sinneswandel kommt spät. Seine frühere Rolle als Putins „Brückenkopf in der EU“ isolierte ihn international und entfremdete ihn vom eigenen Volk. Nun versucht er, die Kurve zu kriegen, doch das Vertrauen ist angeschlagen. Der einstige Machtstratege wirkt gehetzt, sein Pragmatismus wie ein Rückzugsgefecht.
Ein Europa ohne ungarisches Schlupfloch
Sollte Orbán 2026 tatsächlich abgewählt werden, wäre das für Moskau ein geopolitischer Schlag. Russland verlöre seinen letzten verlässlichen EU-Partner – und Europa eine ständige Blockadestimme im Rat. Die EU könnte künftig ohne Budapester Vetos handeln, etwa bei Beitrittsgesprächen mit der Ukraine oder Sanktionen gegen den Kreml.
Für Ungarn selbst steht weit mehr auf dem Spiel: Glaubwürdigkeit, Stabilität und die Richtung der nächsten Jahrzehnte. Ob Orbán diesen Wandel übersteht, hängt davon ab, ob er glaubwürdig umschwenken kann – oder ob er, wie so viele Autokraten vor ihm, an der eigenen Machtlogik scheitert.
Russlands letzter Freund kippt – Ungarn distanziert sich von Putin und Moskau
___
[via Clever Camel]