Retrogott – „12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor“: Analoge Seele, digitale Präzision

Retrogott 12 Bit

Wenn Kurt Tallert alias Retrogott ein neues Projekt veröffentlicht, dann ist das nie nur Musik – es ist eine Haltung. Mit „12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor“ liefert der Kölner Produzent, Rapper und Autor ein reines Instrumental-Album, das so klingt, als würde ein SP-1200 mit einem Glas Rotwein in der Hand über Jazzplatten philosophieren. 16 kompakte, warm knisternde Beats, tief verwurzelt in Soul, Funk und Boombap – ein Sound, der an vergangene Zeiten erinnert, ohne nostalgisch zu sein. Retrogott – „12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor“.

Retrogott x 12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor – Zwischen Jazz, Staub und Philosophie

Das Konzept ist klar: 12 Bit Sampling, 10 Sekunden Loops, aber unendlich viel Gefühl. Tracks wie „Deep Down Dirty“, „Ultra Chillnetic“ oder „Dark Days, Bright Nights“ zeigen Tallerts Gespür für Groove und Struktur – kurze Skizzen, die wie Beat-Tagebuchseiten klingen. Jeder Takt atmet Handarbeit, jeder Cut klingt nach Drehmoment. Das ist kein glatter Lo-Fi, sondern präzise Unschärfe – bewusst imperfekt, charmant roh, durchzogen von Jazzakkorden und staubigen Drums.

Der Schriftsteller hinter den Beats

Dass Tallert nicht nur Musiker, sondern auch Denker ist, zeigt sein 2024 erschienenes Buch „Spur und Abweg“ (DuMont). Darin arbeitet er die Verfolgungsgeschichte seiner Familie auf und erzählt, wie das Erbe des Vaters – zwischen Trauma, Erinnerung und politischer Haltung – bis in die Gegenwart wirkt. Das Buch wurde 2025 mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet. Wer diese Perspektive kennt, hört auch die Beats anders: als verdichtete Notizen über Erinnerung, Widerstand und das Suchen nach Form – Klang als Essay, Rhythmus als Reflexion.

Retrogott – 12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor – Limitierte Auflage, unbegrenzte Tiefe

Die Vinyl-Edition erscheint in einer limitierten Auflage von 300 Exemplaren, verpackt im schlichten Karton-Sleeve – Understatement pur. Das Artwork stammt von Shania Indradwianto, die mit weichen, abstrakten Formen perfekt einfängt, was Tallerts Beats transportieren: Wärme, Rätselhaftigkeit, organische Bewegung. Mastering by Sven Friederichs, alle Produktionen aus der Hand von Tallert selbst – kompromisslos und authentisch, wie immer.

Ein Album für Eingeweihte

„12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor“ ist kein Hintergrundsound. Es ist Musik für Menschen, die hören, wie ein Loop atmet. Für Sammler, für Vinyl-Heads, für alle, die wissen, dass Groove kein Zufall ist. Retrogott beweist einmal mehr, dass seine Kunst weder vom Zeitgeist noch vom Algorithmus abhängt. Sie bleibt analog im besten Sinne: menschlich, unruhig, lebendig.

Retrogott – „12 Bit, 10 Seconds, Infinite Flavor“ // Bandcamp:

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