Domas Dogmen


Im April 1992 hatte ich von allen Auszubildenden meines Jahrganges bei der Zwischenprüfung als Schlechtester abgeschnitten. Ich hatte damals andere Interessen, meine Freunde beteuerten stets, eine Zwischenprüfung sei in keinster Weise relevant und Groß- und Außenhandelskaufmann wollte ich ohnehin nicht mein ganzes Leben lang sein. Schon gar nicht hier. Während Berufschulkollegen Incoterms und Kalkulationsschemen auswenig lernten, lernte ich einhändiges Jointrollen, eine Holsten-Flasche mit einer Anderen zu öffnen und meine Vorliebe für spanischen Verkehr kennen. Zur Abschlussprüfung in 1 1/2 Jahren habe ich den nötigen Stoff schon drauf – und bis dahin möchte ich ja nicht leben wie Alice Schwarzer´s Pedikürist.

Wie dem auch sei: Ich beantwortete nur knapp 30% der Aufgaben aus der Zwischenprüfung richtig. Mein damaliger Chef bekam die Ergebnisse, bevor wir Auszubildenden sie sahen. Jeder Prüfling bekam einen Vermerk des Chef´s auf die erste Seite geschrieben, von „sehr schön!“ über „okay.“ bis hin zu „das muss verbessert werden!“ war alles dabei. Bei mir stand „FRECHHEIT!“ in großen Lettern auf dem Deckblatt. Außerdem bat der Chef um eine Audienz, was bei den Auszubildenden in diesem Traditions-Betrieb ein äußerst seltenes Vorkommnis war.

Mein damaliger Ausbildungsleiter Doma war so ein kleiner, adipöser Hühnerlecker. Er hatte eine murmelgroße Warze am Hinterkopf, die durch sein lichtes, pomadisiertes Haar deutlich zu erkennen war. Er redete schnell, undeutlich und feucht. Mein Respekt galt ausschließlich seiner Konsequenz, in jeder Mittagspause ein Faxe 0,33L, zusammen mit seiner Bild-Zeitung zu konsumieren. Aufgrund einer relativ schlechten Busverbindung kam ich damals selten pünktlich, bereits in der Probezeit fiel ich aufgrund eines Bänderrisses am Fuß für 6 Wochen aus und die Berufschule besuchte ich Montags auch eher nachlässig. Mein Ruf als Nonkostverächter eilte mir voraus und mein Selbstbräunungs-Teint kam bei meinen Vorgesetzten ebenso wenig an wie die Geschichten vom Wochenende, die ich bewusst lautstark im Frühstücksraum von mir gab. Kurz: Sie hassten mich! Alle Blaukittel aus dem Verkaufs- und Lagerbereich, welchen wir Auszubildende im ersten Lehrjahr durchlaufen mussten, mochten mich weniger als Aldi Kreditkarten. Umso mehr freute sich der quallbrüstige Doma über seine erwünschte Teilnahme an meinem Gespräch mit dem höchst konservativen Chef. Ich hasste es. Mit dem Chef, sympathisch wie GEZ-Drückerkolonnen am Samstag um 8.00h und mit Doma, einem Typen mit einem Bluthochdruck wie aus Starkstrom-Herzschrittmachern und einer daraus resultierenden, roten Gesichtsfarbe, die man noch nicht einmal Hoeneß 1976 nachweisen konnte, an einem Tisch über meine Zwischenprüfung reden zu müssen; nur eine Orchitis ist schöner.

Wir gingen in das Büro des Chef´s, welcher mit böser Miene schon zurückgelehnt in seinem Ledersessel auf uns wartete. Ich ging vor, grüsste und setzte mich. Doma kam hinterher. Auch er grüsste und setzte sich rechts neben mich. Das Gesicht meines Chef´s wandelte sich plötzlich in ein für seine Verhältnisse Freundliches. Er schaute zu Doma und fing sehr unterschwellig an zu schmunzeln. Auch das Schmunzeln wandelte sich nach und nach in ein zwar kontrolliertes, aber sehr bestimmendes Lachen. Dann brachte er den Satz heraus, den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde und der an Inhaltsschwere von keinem mir bekannten Menschen bislang auch nur annähernd herankam: „Doma, Du hast ja schon wieder zugenommen. Vielleicht solltest Du mal eine Wurst weniger in die Erbsensuppe legen!„.

Mein Tag war gerettet. Mein Leben war gerettet. Aus der Misere mit dem schlechten Prüfungsergebnis konnte ich mich irgendwie noch aalglatt eloquent und ohne weitere, negative Konsequenzen herauswinden.

Doma strich für´s Erste sein Mittags-Faxe.

Kommentare

38 Antworten zu “Domas Dogmen”

  1. MrRogers sagt:

    sehr, sehr gut. ich kann mich indentifizieren! das ist fast genauso wie meine ausbildung zum kaufmann f. bürokommunikation. fast das gleiche so ähnlich erlebt. schrecklich!

  2. home sagt:

    und solche menschen sollen ausbilden! ein hoch auf die jugend und die zukünftigen rentenzahler. dabei sind wie, nein diese typen schuld!
    wenigstens belustigen sie (diese typen) uns und sorgen bei mir für den morgentlichen schmunzler!

  3. Christoph sagt:

    UUhhh.. mir schauderts ja noch immer von der Warze. Aber diese Situation kenne ich auch sehr gut. In der Berufsschule habe ich jedoch immer nur beim nachmittagsunterricht gefehlt … so von 13:30-16:00 Uhr!

  4. False sagt:

    you saved my day mc! :D

  5. Amadeus sagt:

    Spontan blickte ich auf meine zwei Pfündchen zuviel am Bauch.. (Man sagt ja, die Uni sei ein Ort mit dem Recht auf geistige und körperliche Verwahrlosung..)

  6. timanfaya sagt:

    … ca. 1 jahr vor meiner zwischenprüfung [also genau genommen nach ca. 6 wochen] habe ich auf dem betriebsgelände ein ca. 25.000 eur tor zerlegt. und zwar vollständig. unter dem johlenden applaus von ca. 30 kollegen [die dynamik des auftrittes hatte etwas vom letzten start der challenger], die das ganze mehr oder weniger live miterlebt haben. meine bisher größte bühne als natural born showtalent. die nachbearbeitung meines chefs im firmen-feuilleton las sich dann allerdings überraschenderweise doch etwas anders als die spontane zuschauerreaktion erwarten lies.

  7. GL sagt:

    Meine Ausbildungsleiterin war ungefähr einen Kopf größer als ich (was ich mit 1,80 m eher selten erlebe) und ich hatte schreckliche Angst vor ihr… Hab ich diese Frau gehasst… :-)

  8. SirDregan sagt:

    hahahaha zuu geil ^_^

  9. MC Winkel sagt:

    @ MrRogers: Danke.
    @ home: Ich wusste damals schon: Doma, für irgendetwas musst Du gut sein. Und sei es nur ein dusseliger Blogeintrag.
    @ CD: Berufschule bis 16h? Als Bankkaufmann?
    @ False: Bitte!
    @ Amadeus: Tu nicht nichts, tu was. :)
    @ Timanfaya: In solchen Fällen hat unser Chef damals immer Arschtritte verpasst. Im wahrsten Sinne. 1x flog übrigens auch ein Tacker nach mir…
    @ GL: Lehrjahre sind keine Herrenjahre, GL! Übrigens: Da glaubt einer mit die J+K-Story nicht. Bitte kommentiere Du doch noch einmal, dass Du quasi Zeuge dieser Duschwand/Elternzufrühheimkehr-Story warst! :)
    @ SirDregan: Danke! Wofür eigentlich immer dieses „^_^“?

  10. glam sagt:

    erbsensuppe mit bockwurscht. da fällt mir ein, dass meine mutter, die ich sehr liebe, es sich mit dem mittagessen wochentags oft eher einfach gemacht hat. manchmal gab es aber auch linsensuppe mit krakauer. eines der aufwendigeren rezepte (d.h. nicht aus der konserve) hieß kirschauflauf und war dem noch immer existierenden familienkochbuch entnommen. dieses trug den vielversprechenden titel „das elektrische kochen“.
    na toll, und diese woche fällt meine therapie aus, dabei spüre ich, ich nähere mich dem dreh-und angelpunkt meiner missratenen kindheit. danke, mc!

  11. sabbeljan sagt:

    „vorliebe fuer spanischen verkehr“? aber herr winkel, sowas am fruehen morgen ;-)

  12. Christoph sagt:

    @MC Ne, ne … ich bin doch nicht so ein motherf*cking korintenkacker! Ich bin Informatiker! Und bei der Bank nur Systemadministrator … aber nur noch diese und nächste Woche … dann habe ich mein Home Office und arbeite bei einer anderen Firma. *Strike*

  13. Sören sagt:

    Mensch MC, du kennst doch Smilies oder ? ^^ = ^_^
    Erkennst du sie nicht, die zugekniffenden Augen ? ;)

  14. chrisse sagt:

    spanischer verkehr, ich wollte gerade in die fastenzeit abstarten und werde gedanklich schon wieder fehlgeleitet, danke mc!

  15. KleinesF sagt:

    Mir hat man mal eine ganze Seite durchgestrichen und „Quatsch“ daneben geschrieben. Hätt ich denen auch gleich sagen können.

  16. Christoph sagt:

    @KleinesF: Irgendwie erinnert mich das an eine Englischstunde in der 8. Klasse. Der Lehrer schrieb auf meinen Aufsatz: 6- !!! Eigentlich wäre es eine 8+ gewesen!!!
    Tja … ich konnte mich vor Lachen nicht mehr halten und bin aus der Klasse geflogen.

  17. es ist unerhöht, welche loser und ekelpakete einem etwas im leben zu sagen haben. noch schlimmer ist das ganze, wenn man als mädchen von solchen spacken auf die eine oder andere weise belästigt wird. aber ich will nicht jammern. ich konnte mich wehren!

    eine frage: was ist spanischer verkehr, mc? ich weiss doch sonst so viel ;)

  18. die muräne sagt:

    Da hatte ich leider nicht so viel Glück: Spanischer Verkehr war im 1992 bei uns im schönen Schwyzerländli schwer verboten. Wir waren ja damals noch neutral und schon ein Hauch von Europa hatte etwas anrüchiges

  19. Christoph sagt:

    Ich hoffe ich darf das übernehmen … wollte schon immer mal ein Aufklärer sein …

    Intermammae

    Busen-Sex, oft auch als “ spanischer Verkehr“ bezeichnet. Bei dieser Sex-Variante praktiziert die Frau den Verkehr ausschließlich mit dem Busen. Der Penis des Mannes wird zwischen den Brüsten bis zum Orgasmus massiert. Liebhaber von üppigen Busen bevorzugen diese Sexvariante manchmalt zu ihrer Befriedigung.

  20. Bloggsberg sagt:

    Lehrjahre sind keine Herrenjahre.
    Stimmt so nicht. Wir haben im Lager schön Karten gekloppt und bunte Heftchen gelesen.

    MC, das mit den Spaniern ist natürlich ´ne gute Sache. Aber passen Sie ggf. mit den Griechen auf… ;o)

  21. GL sagt:

    Herr MC, das kann ich leider nicht, da ich nur bis 1991 mit K.S. befreundet war. Wie gesagt, sie hat mich bestohlen… Ich kann nur bestätigen, dass es diese Zwillinge mit Baulöwenvater wirklich gibt! Und die Einrichtung der Hütte war echt gigantisch, vor Ihrer Zeit! :-)

  22. MC Winkel sagt:

    @ Glam: Bitte – jederzeit wieder!
    @ sabbeljan: Nun ja.
    @ CD: Ach so… Mein WP-Update nimmt auch so langsam Formen an!
    @ Sören: So ist das also…
    @ chrisse: Tut mir leid!
    @ KleinesF: Ansichtssache, eigentlich. Oder?
    @ bsc: Siehe comment#19! Also da hätte ich aber jetzt gedacht, Du wüsstest Bescheid… :)
    @ Muräne: Gibt´s bei Euch auch noch die Prohibition?
    @ Bloggsberg: Ich sowieso!
    @ GL: Naja, immerhin hast Du jetzt bewiesen, dass es sie wirklich gibt! :)

  23. r0ssi sagt:

    gibt es ein ehrlicheres esses, als erbsensuppe mit bockwurst drin?

  24. Ole sagt:

    Leck Fett! Geiler Text. Leicht strombergisch… :)

  25. Burnster sagt:

    Spitzen Alliteration zu einer spitzen Geschichte, aber bitte im Deutschen kein Apostroph S zur Kennzeichnung des Genitivs verwenden!

    Burnsters zwiebelfischliger Ratschlag

  26. schroeder sagt:

    Dem Burn’s sein Genörgel wieder… wundert mich, dass du dich nicht darüber beschwerst, wie oft es dem MC gelingt, Elferpfeife Hoeneß in seine Metaphern einzubauen .-)
    Der Erklärung zu Orchitis wär ich aber lieber nicht gefolgt. Zu dem Thema les ich lieber nichts.

  27. MC Winkel sagt:

    @ r0ssi: Hab´ mich gut unterhalten gefühlt, heute bei Ihnen drüben. Und Erbsensuppe ist ehrlich. Seitdem ich bei Suppen-Peter an der Shell-Tanke bei mir im Ort aber mal ein Sackhaar in der Suppe gefunden habe, mag ich sie nicht mehr.
    @ Ole: Schreit nach Verfilmung.
    @ Burns: Siehste, Burns: Nur 30% richtig gehabt, woher soll ich Idiot das mit dem Apotstroph wissen. :) Aber Danke. Lass mich auch kurz schlaumeiern: Braucht es nicht mindestens 3 aufeinanderfolgende Worte mit gleichem Anfangsbuchstaben, um als Alliteration durchzugehen?
    @ Shroe: :-) Elferpfeife! Hihi… UH ´76 ist halt die personifizierte Pipe, da kann man gar nicht oft genug drauf hinweisen…

  28. pulsiv sagt:

    was? mehr nich? der hat den specki runtergemacht, aber den mc nich? was ist das für ne welt?!? Ich hab ne abmahnung bekommen, weil meine zwischenprüfung 73 % war… (ganz zu schweigen davon, dass eine 88 % Abschlussprüfung kein Grund war, mich irgendwie zu loben…) Glüxpilz, elender! :-)

  29. 500beine sagt:

    Irgendwo hab ich es schon mal erwähnt, aber den schönsten
    Lehrer-Kommentar unter einer (Bio-)Arbeit bekam ich etwa 1980 rum:

    AUSGEPRÄGTE AHNUNGSLOSIGKEIT!

    ungenügend

  30. r0ssi sagt:

    @mc: ab zwei nacheinanderfolgenden gleichen wortstammsilben spricht man von alliteration oder stabreim, sagt der-mal-ein-semester-germanistik-studiert-hat ;-)

  31. else sagt:

    iiiiiiiiih…. die incoterms… und ich dachte schon ich hättes sie seit der abschlussprüfung erfolgreich aus meinem gedächtnis gestrichen – danke mc. jetzt ist der tag im arsch.

  32. KleinesF sagt:

    Christoph, bei mir war´s die Abiturarbeit in Biologie. 8+ ist aber anständig. Sozusagen nen gutes ununungenügend.

  33. Marc sagt:

    Hi! Feiner Artikel – hab echt gelacht. So nachvollziehbar alles :-)

    Dafür wirste gebookmarked :P

  34. SirDregan sagt:

    Ich kann nix dafür @MC, dieser dreckige Smiley hat sich in meine Synapsen gefressen :(

  35. mark793 sagt:

    Irgendwo müssen diese Typen ? la Doma in Großserie hergestellt worden sein. In dem verkackten Ford-Autohaus, wo ich Mitte der 80er auch mal sechs Wochen lang versuchte, den angehenden Groß- und Außenhandelskaufmann zu machen, gabs nen Werkstattleiter von der gleichen Machart. Dass ich bei Ablauf der Probezeit von ihm gesagt bekam, dass ich nicht in diesen Laden passe, hab ich durchaus als Kompliment gesehen. Den Spaß, ihm das aufs Brot zu schmieren, hab ich mir dann natürlich nicht nehmen lassen. Zu retten war da ja eh nix mehr. Bin seitdem auch nie wieder Ford gefahren, hehe.

  36. Bateman sagt:

    Derzeit auf’en Vergangenheits-Bewältigungs-Trip? Ist schon richtig, wenn man öffentlich darüber schreibt, kann man sein Vergangenheits-Trauma (das haben Sie ja wohl ;-) ) besser verarbeiten.

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