Armand Hammer & The Alchemist – „Mercy“: Zwischen Apokalypse und Andacht

Armand Hammer Mercy

Mit Mercy führen billy woods und Elucid ihr Projekt Armand Hammer in eine neue, noch präzisere Dimension. Gemeinsam mit The Alchemist, der bereits auf Haram (2021) düstere Klangräume öffnete, erschaffen sie ein Werk, das von Verzweiflung, Wachsamkeit und spiritueller Rebellion lebt. Das Album ist weniger ein Aufschrei als ein stilles, bedrohliches Atmen – eine Abhandlung über das Überleben in einer Welt, die längst den Verstand verloren hat.

Die Gewalt, von der sie erzählen, ist nie direkt, sondern atmosphärisch. Sie schwebt über den Tracks wie eine bleierne Glocke. Auf “War Stories“ spürt woods das Gift vergangener Symbole, während Elucid auf “I Keep a Mirror in My Pocket“ fragt: „What’s life without wartime?“ – eine resignierte Feststellung, dass selbst Frieden nur noch als Pause zwischen Konflikten existiert. Mercy zwingt zur Erkenntnis, dass niemand unberührt bleibt, wenn das System permanent kollabiert.

Armand Hammer x Mercy – Der Alchemist im Schattenmodus

The Alchemist zeigt hier eine seiner stärksten Produktionen seit Jahren. Seine Loops sind fragil, verschoben, fast schon gespenstisch. Statt der warmen Lounge-Beats, die viele seiner jüngsten Projekte prägten, dominieren kalte Pianotöne, gebrochene Drums und flirrende Dissonanzen. “No Grabba“ und “Nil by Mouth“ schleppen sich wie Trauermärsche, während “Scandinavia“ mit detonierenden Kickdrums das ferne Echo moderner Kriege heraufbeschwört.

Was Haram als Annäherung begann, ist nun ein Gleichgewicht. Mercy klingt, als hätten sich drei Bewusstseinsströme zu einem einzigen Organismus verbunden. “Calypso Gene“ erinnert an einen verirrten Funk-Geist der Dungeon Family, “Crisis Phone“ atmet denselben Druck wie Alcs Arbeiten mit Boldy James, und “California Games“ gleitet durch psychedelische Soul-Sphären mit Flöten, Vocals und einem Hauch von Erlösung. Überall lauern kleine Details – sirenenartige Synths auf “Dogeared“, quietschende Reifen auf “Glue Traps“ – die den Hörer tiefer in diese dystopische Klangwelt ziehen.

Zeit, Geschichte und der Schmerz der Gegenwart

Mercy wirkt dringlicher als viele frühere Armand Hammer-Werke. woods und Elucid behandeln Zeit wie eine offene Wunde. woods verwebt Geschichte zu einem endlosen Teppich aus sich wiederholender Grausamkeit, während Elucid zwischen Traum, Mythos und Dokumentation driftet. Gemeinsam reagieren sie auf das kollektive Taubwerden der Gesellschaft – auf die Müdigkeit angesichts von Terror, Krieg und Algorithmus-Verseuchung.

Auf “Peshawar“ warnt woods vor künstlicher Intelligenz: „Thou shalt not make a machine in the likeness of a human mind.“ Der Song trägt den Namen jener pakistanischen Stadt, in der 2014 ein Schulmassaker stattfand – Symbol für globale Sinnlosigkeit. Elucid beschwört auf “Nil by Mouth“ Erinnerungen an Kolonialismus und kalte Kriege, während “Glue Traps“ das tägliche Überleben im eigenen Viertel beschreibt. Die Welt mag brennen, doch die Miete bleibt fällig.

Was bleibt von der Barmherzigkeit?

Gegen Ende fragt jemand woods: „What’s the role of a poet in times like these?“ – und das Album verstummt beinahe vor Nachdenklichkeit. Zwischen bröckelnder Hoffnung und kindlichem Staunen entdeckt er Momente von Intimität: das Geräusch eines Pfannenfetts, ein ungelesenes Buch, das Lachen seines Kindes. Mercy verwandelt diese beiläufigen Augenblicke in Widerstand.

Armand Hammer und The Alchemist zeigen, dass Gnade kein Geschenk ist, sondern eine kollektive Tat. Ihre Musik ist kein Trost, sondern eine Erinnerung daran, dass Mitgefühl inmitten des Chaos erst erschaffen werden muss.

Armand Hammer & The Alchemist – „Mercy“ // Spotify:

Armand Hammer & The Alchemist – „Mercy“ // Bandcamp:

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